Ich weiß nicht, ob du das auch kennst, aber oft hat Marketing den Ruf der „bunten Bildchen Bastler“, alles scheint subjektiv zu sein und Marketing kann doch wirklich jeder, oder? Kein Vorstand käme je auf die Idee, sich den Software-Code für die neue App nochmal anzusehen, bevor er live geht, aber die Marketing Kampagne möchte er/sie bitte freigeben. Dabei übersehen viele aber, wieviel Hirnschmalz im „Backend“ einer Kampagne stecken kann, sei es durch den Einsatz intelligenter SaaS Lösungen oder durch die ausgefeilten Datenkonzepte für das Targeting der Nutzer. Ich möchte daher die aus meiner Sicht 3 wichtigsten Einflussgrößen skizzieren, die das Marketing in den kommenden 5 Jahren besonders prägen werden und damit dann hoffentlich endgültig mit den Vorurteilen dieses Fachbereichs aufräumen.
1. Marketing wird zunehmend technischer
Vielleicht erinnerst du dich noch an die Zeiten, als du neben dem Produktkatalog auch noch einen Flyer produziert hast und deine Kampagne ihre Krönung bereits darin fand, dass ein persönliches Mailing an deine Kunden herausging, gepaart mit einem Radiospot, der landesweit dazu lief. Dann kam die Website dazu und plötzlich musstest du dich mit Themen wie Content Management Systemen, SEO und Newslettern auseinandersetzen, gefolgt von Mobile First Ansätzen, Apps, Social Media Tool Boxes etc. Waren es 2011 noch ca. 150 Anbieter für Marketing-Technologien, sind es heute knapp 10.000 sog. Martech-Lösungen, Tendenz stark steigend.

Was bedeutet das für das Marketing?
Klar, zunächst mal bieten so viele Lösungen eine ganze Menge neuer Möglichkeiten, vorausgesetzt man ist in der Lage, diese Software-Angebote entsprechend zu nutzen und zu benutzen. Das CMS wird ggf. ergänzt um ein PIM und CDN, integriert den Shop via Webservices, füttert das Tracking mit Daten, welches dann die Daten in die CDP einspeist, in der wiederum die Audiences gebaut und über das Marketing Automation Tool ausgespielt werden. Darüber hinaus ist mit der CDP auch das CMS oder eine DCO verknüpft. Der Shop ist wiederum mit einem ERP- und einem Fullfilment-System verbunden usw. Dieser kleine Auszug von willkürlich erscheinenden Abkürzungen zeigt bereits, wie viele Systeme ich in einer Marketing-Software-Architektur ggf. berücksichtigen muss.
Ohne einen sog. Martech-Architekten ist das kaum leistbar.
Dazu kommen die Technologie-Experten, die wiederum in der Lage sein müssen, die Tools entsprechend auch aufzusetzen, zu bedienen und zu verwalten. Für gewöhnlich käme jetzt der Einspruch, dass das meistens reine SaaS Anbieter sind (SaaS = Software as a Service), die jeder bedienen kann. Und ja, auf viele Tools trifft das sicherlich zu. Aber die Implementierung einer Marketing Automation Lösung, die Planung einer Headless CMS-Architektur, die Konfiguration eines CRM-Systems oder die Einführung einer Customer Data Platform sind ohne eine technische Marketing Rolle nicht möglich.
Ich höre jetzt den einen oder anderen Geschäftsführer protestieren, dafür habe man ja schließlich eine IT aufgebaut. Und ja, sicherlich ist hier eine enge Verzahnung sinnvoll, bspw. um Schnittstellen zwischen den SaaS Lösungen mit selbstentwickelten On-Premise Lösungen aufzubauen oder ähnliches. Aber ein IT-Spezialist für SAP ERP wird hier leider nur bedingt helfen können. Gefragt sind technische Fachexperten, die sich im stetig wachsenden Kosmos von Marketing- und Sales-lastigen SaaS Lösungen auskennen und wissen, wie sie diese zu einer performanten und zugleich flexiblen Architektur unter Berücksichtigung der bestehen IT-Infrastruktur eines Unternehmens verknüpfen.
Ich kann dir heute noch nicht sagen, welche neuen Wahnsinns-Tools es in 5 Jahren in der Marketing-Szene gibt, aber eines kann ich dir versprechen: Ohne die neue Rolle eines technischer Marketers und einer schlagkräftigen Martech-Truppe werden die kommenden Jahre eine echte Herausforderung.
2. Marketing wird zunehmend datengetriebener
In den vergangenen Jahren gab es immer wieder neue Begriffe und Trends, um die Bedeutung von Daten im Marketing zu betonen. Egal ob Big Data, Data Lake, Predictive Audiences, AI-based Personalization, Clean-Rooms oder Next best Action – auch wenn jeder etwas anderes darunter versteht, sind sich doch alle darüber einig:
Daten werden im Marketing zunehmend wichtiger.
Klar, Daten sind auch im Marketing nicht neu. Marktforschung gibt es schon lange, egal ob es um Brand-Awareness oder -Perception Studien geht. Kunden-Segmente werden im CRM schon lange gebildet und Reports der Tracking-Daten oder Social Media Reports sind auch nicht neu. Neu ist aber die zunehmende Professionalisierung in diesem Bereich und die Vernetzung von bisherigen Daten-Silos zu einem 360° Kunden-Profil. Tracking-Daten werden zunehmend umfassender, Customer Data Plattformen oder Data Lakes ermöglichen zudem die Zusammenführung von Echtzeit-Daten aus der Online-welt mit den Daten aus dem CRM-System oder der IoT Nutzungs-Daten. Audiences und damit das Targeting werden immer präziser und dank der Data-Analysten können immer bessere Vorhersagen für die Next Best Action getroffen werden. BI- und AI-Spezialisten modellieren die optimale Audience auf Basis von Daten-Variablen, auf die man als Normalsterblicher nie gekommen wäre.
Das Spiel gewinnt aber sicherlich niemand, der die meisten Daten sammelt. Die hohe Kunst besteht in der Vernetzung und Verwertung dieser Daten.
Daten sind kein Selbstzweck, sondern dienen einem höheren Ziel: Mehr Effizienz, Mehr Kundenzufriedenheit, gezielte Kundenansprache zur richtigen Zeit am richtigen Ort usw. Und genau das geht nur, wenn es gelingt, Daten-Silos aufzubrechen und die daraus generierten Erkenntnisse über alle Kunden-Touchpoints hinweg nutzbar zu machen.
Das Schreckgespenst „Cookieless Future“ oder das „Sterben der 3rd Party Cookies“ leisten ebenfalls ihren Beitrag zur Bedeutung von Daten, im speziellen Fall für 1s Party Daten. Wenn deine Facebook Pixel nicht mehr in der Lage sind, deine Besucher zielgenau zu re-targeten, dann brauchst du einen Plan B. 1st Party Daten, neue ID-Konzepte und Server-seitige Integrationen der Kommunikationskanäle werden dann zum Schlüssel für deine Wettbewerbsfähigkeit.
3. Marketing-Organisationen werden zunehmend komplexer
Wie sieht bei dir und deinem Team die typische Kampagnenplanung aus? Ich kann natürlich nicht für alle sprechen, aber ist das nicht oft so, dass man sich zusammensetzt, es wird ein Ziel ausgegeben, man einigt sich auf die Eck-Feiler der Kommunikation und dann waltet jedes Team-Mitglied seines Amtes und setzt die Maßnahme in seinem Zuständigkeitsbereich um? Die Social Media Experten setzen die Kommunikation in den Media Channels auf, die CMS-Verantwortlichen planen das Webspecial usw. Ich bin fest davon überzeugt, wenn du an die ersten beiden von mir benannten Trends glaubst, wird das Marketing der Zukunft so nicht mehr funktionieren.
Wenn du Technologie-Landschaften hast, die zunehmend auf Vernetzung ausgelegt sind und du hast Datenflüsse, die möglichst Journey-übergreifend fließen sollen, dann musst du über gewisse Knotenpunkte in deiner Planung, deinen Prozessen und deiner Architektur nachdenken, die die Kommunikation orchestrieren.
Wenn der Nutzer via Social Media konvertiert ist, willst du ihn nicht auf allen anderen Kanälen immer noch mit der alten Nachricht nerven, sondern möchtest ggf., dass der Newsletter bereits das Folge-Angebot für ihn bereit hält etc. Mit der Frage nach der Vernetzung der Kommunikations-Maßnahmen folgt automatisch die Frage, welche Software-Lösungen du ggf. noch in deiner Marketing-Architektur benötigst und welche weiteren Datenquellen du dafür erschließen musst.
Eine Frage wird bei alle dem aber unbeantwortet bleiben und ich garantiere dir, die Antwort darauf wird nicht immer einfach werden: Wer verwaltet eigentlich diese Knotenpunkte in deiner Marketing-Architektur? Wer ist für die Audiences oder die Software zuständig, wenn du CRM und Tracking Daten kombinierst und daraus Audiences bildest? Ist das Aftersales, Sales oder doch Marketing? Und wer ist für die Audiences und Kampagnen verantwortlich, wenn ein zentral bereit gestellter Audience-Orchestrator Kanäle wie TikTok, DV360 und den Newsletter bespielt? … Spontan kommt dir ggf. die Antwort, das muss doch der Marketing Leiter oder die Marketing Direktorin als Strategiegeber sein. Aber die kümmern sich in der Regel nicht um den operativen Betrieb vernetzter Martech-Architekturen.
Was du künftig dringend brauchen wirst ist eine Art Journey Manager, der die strategische Vorgabe und Ausrichtung einer Kampagne im operativen Doing umsetzt und verwaltet.
Aber diese vergleichsweise neue und bislang wenig etablierte Marketing-Rolle hat ein großes Problem: Die Rolle ist neu, die Rolle ist meist nicht klar definiert und die Rolle hat keine Governance. Das heißt praktisch: die Rolle ist aktuell rein von dem Wohlwollen der etablierten Marketing-Bereiche abhängig, was die Mission so zum Scheitern verurteilen wird. Denn keiner gibt freiwillig Kontrolle auf.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Marketing-Organisationen der Zukunft primär um diese Rolle herum gebaut werden müssen. In der Übergangsphase wird das für die neuen Journey Manager aber ein Klinkenputzen, Lobbyarbeit und ein Trial and Error innerhalb ihrer Organisation werden.
Fazit
Ich bin kein Prophet und natürlich ist das eine subjektive Einzelmeinung von mir, die ich aus meiner beruflichen Erfahrung ableite. Aber die beschriebenen Trends sind auch heute schon spürbar. Ich bin der festen Überzeugung, dass sie die kommenden Jahre deutlich an Intensität und Geschwindigkeit zunehmen werden.
Ein Punkt, den ich aus Rücksicht auf die Leser mal ausgespart habe, sei hier abschließend noch zumindest erwähnt: Mit der zunehmenden Software-Lastigkeit und der organisatorischen Komplexität durch die Vernetzung der Maßnahmen wird das Marketing der Zukunft nicht drum herumkommen, sich neue Kollaborationsmodelle zu überlegen. Ich empfehle jedem Marketer, sich am besten schon mal mit Confluence und Jira vertraut zu machen. Die Software-Entwicklung hat es dank agiler Methoden geschafft, die Komplexität der (fr)agilen digitalen Welt in den Griff zu bekommen. Wieso sollte das nicht auch in einer von Software, Daten und Abhängigkeiten geprägten neuen Marketing-Welt funktionieren?